In meinen Seminaren habe ich immer wieder ein Thema angesprochen, welches mir durch eigene Erfahrungen sehr am Herzen liegt. Das Vergesellschaften unserer Hunde mit Neuankömmlingen. Ich bin der Überzeugung, dass viele, wenn sie einen zweiten oder dritten Hund in die Familie aufnehmen, manchmal vergessen, denjenigen mit einzubeziehen, der sich dazu nicht äußern kann – den Hund.
Ich selbst habe die Erfahrung vor über einem Jahr gemacht, als ich einen Pflegehund für einige Wochen aufnahm. Ich war vom ersten Moment an verliebt, seine Vorgeschichte erweichte mein Herz und der Wunsch war immens groß, dieses schwarze, kleine Wesen in unsere Familie aufzunehmen. Die Umstände waren nicht einfach, die Zeit unser Gegenspieler. Was ich registrierte war, dass vor allem mein Rüde dem Neuankömmling gegenüber Meideverhalten zeigte.
Ich war überzeugt, dass über gutes Management und Training eine Zusammenführung erfolgreich verläuft – in den meisten Fällen funktioniert das, von der menschlichen Warte aus gesehen. Wir arbeiteten zu Beginn mit räumlicher Trennung und versuchten eine Vergesellschaftung außerhalb – immer wieder auf Distanz und über einige Wochen. Die Situation eskalierte, als sich die beiden zu nahe kamen und es gab eine Keilerei – initiiert von meinem Rüden. Rückwirkend bin ich sehr dankbar dafür, dass Charly mir die Chance gegeben hat, „Nein“ zu sagen, denn ich hätte einen schwerwiegenden Fehler begangen. Mein Hund, der noch nie IRGENDeine Art von Aggressionsverhalten gezeigt hat, für den dieses Verhalten vermutlich genauso „neu“ war, wie für mich die Tatsache, selbiges bei ihm zu sehen. Wir alle wissen, dass Aggressionsverhalten evolutionsbiologisch weder „neu“ noch „überraschend“ ist und doch empfand ich diese Situation als überfordernd, einfach, weil mein Hund ein Verhalten gezeigt hat, das für uns als Mensch-Hund-Team ein Novum darstellte. Tragisch war nur, dass Charly so deutlich werden musste, bevor ich wirklich die Notbremse zog. Er hatte die Möglichkeit so deutlich zu werden, weil ich ihm die Chance dieser Art der Kommunikation nicht genommen hatte, indem ich das Aggressionsverhalten in der Vergangenheit unterdrückte – gab ja nichts, was uns den Anlass gegeben hätte. Das zeigte mir aber einmal mehr, wie wichtig Aggressionsverhalten in der Kommunikation ist und wie fatal, hätte ich es im Vorfeld bereits unterdrückt. Wie hätte Charly sonst so deutlich argumentieren können?
Die Idee, die Hunde langsam und über Monate aneinander zu gewöhnen, sah ich plötzlich in einem neuen Licht. Sicher ist das möglich und sicher werden sich Hunde irgendwann einmal damit arrangieren. Mir stellte sich aber die Frage: Ist das fair? Ist es fair, ein neues Haustier in die Familie aufzunehmen, ohne dass die bestehenden felligen Familienmitglieder die Chance haben, ein Veto einzulegen? In vielen Fällen fragen wir nicht. Wir handeln. So wie ich, gedrängt von diesem Wunsch und dem Anspruch, dass es ganz sicher technisch klappen muss und wird. Aber handwerkliches Können ist nicht alles. Das, was auf der Strecke bleibt, ist das Wohlbefinden unserer Hunde. Sie haben nicht die Chance, ihre sieben Sachen zu packen und uns Lebewohl zu sagen, wenn es ihnen zu bunt wird. Sie sind im Grunde gefangen und haben nur zwei Optionen: entweder sie haben Glück und der Neuankömmling wird als Bereicherung empfunden oder sie haben kein Glück, finden ihn suspekt oder gar bedrohlich und müssen sich fügen, eine Anpassungsleistung, deren physischer und psychischer Preis für den Hund sehr hoch sein kann. Eine echte Wahl bleibt also nur uns Menschen vorbehalten – ein Privileg, welches wir zu schätzen wissen sollten.
Wenn ich mir vorstelle, mit einem fremden Menschen, den ich weder kenne, noch mag, in eine Wohnung gesperrt zu werden, schüttelt es mich. Jeden Tag seinen unausstehlichen Geruch wahrnehmen zu müssen, würde mich auf Dauer krank machen. Ich als Mensch habe die Möglichkeit, mir rational ins Gewissen zu rufen, dass diese Zeit irgendwann vorbei ist und ich diesen Menschen los bin. Unsere Hunde haben diese Fähigkeit nicht, sie wachen also Tag für Tag auf und empfinden diesen Zustand als „never ending story“.
Das Sprichwort „Ich kann dich nicht riechen“ kommt nicht von ungefähr. In unserem Fall habe ich erst reflektiert, als der Pflegehund wieder weg war, und mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen. Der Pflegehund hat in Abwesenheit von Charly jeden Platz zum Schlafen genutzt, nur einen nicht – den von Charly. Es hat also offensichtlich schon eine olfaktorische Kommunikation stattgefunden, die ich nicht bemerkte. Sie konnten sich nicht riechen, so interpretierte ich dieses Verhalten.
Was mich diese Erfahrung gelehrt hat war, acht zu geben auf die Hunde, die bereits da sind und nicht etwas zu erzwingen, das technisch und über den Faktor Zeit sicher möglich gewesen wäre, aber auf Kosten des Wohlbefindens meiner Hunde, die schon bei uns wohnen. Das ist im Grunde egoistisch und unfair.
Unsere Hunde müssen sich uns Menschen in jeder Hinsicht anpassen. Wir haben die Kontrolle über fast jeden Schritt, den unsere Hunde machen. Wir schreiben ihnen vor, wann sie ihr Futter bekommen – ob sie nun Hunger haben oder nicht – sie gewöhnen sich daran und lernen, ihren Magen so zu regulieren, dass sie ein Hungerempfinden haben und es um diese Uhrzeit irgendwann auch kommunizieren. Wir schreiben ihnen vor, wann sie sich lösen dürfen und wo – sie gewöhnen sich daran und lernen, ihre Blase so zu kontrollieren, dass sie warten können, bis es rausgeht. Wir schreiben ihnen vor, wann sie soziale Interaktion mit Artgenossen oder uns Menschen ausüben dürfen.
Was bleibt unseren Hunden noch?
Wenn ich als Mensch unserem Hund, der sich uns so maximal (wider seiner Natur) anpasst, dann noch einen Hund zumute, vor dem er noch nicht mal die Möglichkeit hat, sich so weit zurückzuziehen, dass er ihn nicht mehr „riechen“ muss, ist das für den Hund provokativ gefragt dann noch ein Hundeleben? Hundselend wäre es meinem Charly gegangen und ich hätte durch´s Training und Management über kurz oder lang dafür gesorgt, dass er sich seinem Schicksal ergibt – und weil sich unsere Hunde so gut anpassen, hätte er den Neuankömmling vermutlich auch irgendwann akzeptiert.
Mir ist klar, dass es manchmal nicht die Möglichkeit gibt, den Hund zu fragen, wünschen würde ich es mir aber schon, denn unsere Hunde sind hochsoziale Lebewesen.
Lasst uns unseren Hunden etwas schenken, das uns alle verbindet und für ein faires Miteinander unabdingbar ist – das Mitspracherecht.
A.